Der Blog der Pinakotheken

Geschichten aus dem Museum

10.07.23 | Priscilla Pfannmüller

Ein Wort, ein Bild | ALTE PINAKOTHEK UNFRAMED

Was wohl die am häufigsten verwendete Farbe auf den Gemälden der Alten Pinakothek ist? Rot! Hätten Sie das gedacht? Nun, wir auch nicht. Das ist nur eine von vielen neuen Erkenntnissen, die wir durch die Verschlagwortung der ausgestellten Gemälde der Alten Pinakothek gewonnen haben.

Seit 2022 arbeiten wir, gefördert durch das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, an "Alte Pinakothek Unframed", einem neuen digitalen Besuchsassistenten, der es den Besucher:innen ermöglicht, die Alten Meister neu zu entdecken. Neben thematisch kuratierten Rundgängen wird es die Möglichkeit geben, selbst Touren nach eigenen Interessen zusammenzustellen und mit Freunden und Bekannten zu teilen. Besucher:innen können auf Basis von personalisierten Empfehlungen Themen, die in den Gemälden der Alten Pinakothek verhandelt werden, erschließen und entdecken.

Damit man ab Winter diesen Jahres die Meisterwerke so entdecken kann, haben wir fast 700 Gemälde der Alten Pinakothek verschlagwortet, das heißt mit Begriffen wie „Frau“, „Heilige“, „Himmel“, „Glück“ oder auch „Schmerz“ beschrieben. So kann man zielgerichtet Gemälde zu bestimmten Themen ansehen und neue Zusammenhänge entdecken. Dieses Verschlagworten ist komplexer als man denkt: denn jeder Mensch sieht (und empfindet) Kunst anders und hat ein anderes Vorwissen. Insofern ist es wichtig, dass nicht nur eine Person verschlagwortet, sondern mehrere, um einen solchen Bias – den man freilich nie vollständig ausschließen kann – auszugleichen. Eine neutrale Beschreibung von Kunst ist also unmöglich. Gleichzeitig verändert sich der Blick auf die Kunst, wenn man darüber spricht. Das haben wir bei der Arbeit schnell gemerkt. Nachdem eine Kollegin erwähnte, sie würde überall Wolken sehen, haben auch die anderen Mitarbeitenden überall Wolken gesehen…

Das Vokabular

Ein anderer Aspekt, der dem Verschlagworten vorangestellt ist, ist die Erarbeitung eines Vokabulars, mit dem die Gemälde beschrieben werden. Grundlage für unser Vokabular waren sogenannte kontrollierte Vokabulare. Dies sind Wortschätze, in welchen jeder Begriff eindeutig definiert ist – es gibt also keine Synonyme. Jedes Wort hat eine spezifische Bedeutung. Die Auswahl bestimmter Begriffe aus den großen Corpora ist subjektiv und an den Themenschwerpunkten der Alten Pinakothek ausgerichtet. Durch beständige Iteration, Überprüfung und statistische Auswertung der Verschlagwortung können Fehleinschätzungen in Bezug auf das Vokabular korrigiert werden. Ist ein Begriff zu häufig verwendet worden, dann ist er zu unspezifisch. Wird ein anderer Begriff hingegen nicht verwendet, so ist er vielleicht für die Sammlung nicht relevant. Gleichzeitig muss immer wieder abgewogen werden, wie sinnvoll es ist, einen speziellen Begriff zu integrieren. Die Devise lautet: so allgemein wie nötig, so konkret wie möglich.

Ein Beispiel

Rachel Ruysch, Stillleben mit Rosen, Tulpen und Sonnenblume, 1710 
London, The National Gallery, Leihgabe der Sammlung Janice and Brian Capstick 
© The National Gallery, London, Private Collection Janice and Brian Capstick
Rachel Ruysch, Blumenstrauß, 1715, Leinwand, Inv.-Nr. 878

Die Blumenstillleben der Malerin Rachel Ruysch (1664–1750) bestechen durch ihre minutiösen Darstellungen spezifischer Blumen- und Insektenarten. Allerdings ist es nicht zielführend, die verschiedenen Arten exakt zu benennen und Begriffe wie „Passionsblume“ oder „Amaryllis“ in das Vokabular aufzunehmen – denn unser Ziel ist es, dass Nutzer:innen mehr als ein Gemälde bei ihrer Suche angezeigt bekommen. Insofern sind nur Blumenarten im Vokabular, die in einer größeren Anzahl von Gemälden auftauchen, etwa Rosen, Lilien oder Nelken. Ähnlich verhält es sich bei Musikinstrumenten und Tieren. Dort haben wir uns für Überbegriffe wie „Saiteninstrument“ oder „Großkatze“ entschieden, um eine ausreichend große Menge von Treffern zu generieren.

Diese neue Art der Erschließung der Gemälde über Sammlungsbereiche und Epochengrenzen hinweg ist nicht nur für Besucher:innen reizvoll, sondern auch für die Kunstvermittlung und nicht zuletzt die Sammlungsleiter:innen. Durch die Verschlagwortung können auch sie die Sammlung immer wieder von Neuem entdecken und neue Zugänge zu ihr finden.


Beitrag von

Priscilla Pfannmüller Priscilla Pfannmüller war von April bis Dezember 2023 Projektleiterin für den Digitalen Besuchsassistenten – Alte Pinakothek Unframed. Zuvor war sie wissenschaftliche Volontärin an den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen mit Stationen am Bayerischen Armeemuseum, dem Bayerischen Nationalmuseum sowie der Alten Pinakothek. Bevor sie in Kunstgeschichte promoviert wurde, war sie während des Studiums freie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Münchner Marstallmuseum.