Der Blog der Pinakotheken

Geschichten aus dem Museum

Adolf Ziegler (1892–1959), Die Vier Elemente, vor 1937

31.03.20 | Johannes Gramlich und Jochen Meister

DIE „VIER ELEMENTE" VON ADOLF ZIEGLER

FORSCHUNGSPROJEKT „ÜBERWEISUNGEN AUS STAATSBESITZ“

Autoren: Johannes Gramlich, wissenschaftlicher Mitarbeiter Provenienzforschung und Jochen Meister, Leitung Besucherservice und Kunstvermittlung

Vor allem in den 1950er- und 1960er-Jahren haben die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen rund 900 Kunstgegenstände übernommen, die bis 1945 hochrangigen Organisationen und Funktionären der NSDAP gehört hatten – darunter Werke aus den Sammlungen von Adolf Hitler, Hermann Göring, Heinrich Hoffmann und der NSDAP-Parteikanzlei. Seit 2013 recherchieren die Staatsgemäldesammlungen zu den Provenienzen dieser Objekte im Forschungsprojekt "Überweisungen aus dem Staatsbesetz", das derzeit von Johannes Gramlich und Sophie Kriegenhofer bearbeitet wird.

Aufgrund der Vorbesitzer besteht bei diesen Werken von vornherein ein erhöhter Verdacht auf NS-Raubkunst. Dies gilt allerdings nicht für sämtliche Kunstgegenstände aus diesem Bestand. Über 200 Werke stammen von zeitgenössischen Künstlern des Nationalsozialismus. Sie entsprachen dem Geschmack und der Kunstauffassung des NS-Staats und wurden von den NS-Funktionären meist auf Verkaufsausstellungen erworben. Dazu gehört Adolf Zieglers Triptychon Die Vier Elemente, das in der NS-Zeit millionenfach reproduziert worden ist und zu den bekanntesten Werken nationalsozialistischer Kunstproduktion zählt. Problematisch ist in diesem Fall also nicht die Provenienz, sondern das Werk und sein Künstler selbst.

Am 8. April 2020 findet der 2. Internationale Tag der Provenienzforschung statt, an dem über 100 Kultureinrichtungen in Deutschland und darüber hinaus ihre Arbeit auf diesem Gebiet vorgestellt hätten. Aufgrund der COVID-19-Pandemie müssen jedoch alle öffentlichen Veranstaltungen abgesagt werden. Anstatt einer Dialogführung in der Pinakothek der Moderne informiert nun dieser Blogbeitrag über den Künstler Adolf Ziegler, das Triptychon Die Vier Elemente und seine Rezeption in der Nachkriegszeit. Am Ende bleibt die Frage: Wie soll man mit einem solchen Werk heute umgehen?

ADOLF ZIEGLER UND DIE KUNSTPOLITIK IM NATIONALSOZIALISMUS

Besichtigung des „Hauses der Deutschen Kunst" durch Adolf Hitler. Daneben Gerdy Troost, Adolf Ziegler und Joseph Goebbels am 5. Mai 1937
Besichtigung des „Hauses der Deutschen Kunst" durch Adolf Hitler. Daneben Gerdy Troost, Adolf Ziegler und Joseph Goebbels am 5. Mai 1937 (© Bundesarchiv)

Die bildende Kunst hatte im Nationalsozialismus einen immensen Stellenwert: Die weltpolitische Vormachtstellung des „deutschen Volkes“ sollte in umfassenden, hochwertigen und weit ausstrahlenden Kunstsammlungen demonstriert werden. Zeitgenössischen Kunstgegenständen kam überdies die Aufgabe zu, die nationalsozialistische Rassenideologie zu transportieren. Ein Werk wie Zieglers Vier Elemente sollte dazu beitragen, eine deutsche „Volksgemeinschaft“ zu konstituieren, indem es „rassische“ Idealvorstellungen propagierte. Entsprechend große Bedeutung maßen die Nationalsozialisten der Kunst- und Kulturpolitik bei, auf die Ziegler erheblichen Einfluss gewinnen konnte.

Bis 1924 hatte er in Weimar und München Kunst studiert. Bereits zur Zeit der Weimarer Republik kam er über einen Förderer in Kontakt mit Adolf Hitler. Am 16. Februar 1929 trat er in die NSDAP ein. Der wenig erfolgreiche und bis dahin weitgehend unbekannte Künstler Ziegler erlebte vor diesem Hintergrund ab 1933 einen rasanten Aufstieg in der kulturpolitischen Hierarchie des NS-Staates und konnte zahlreiche offizielle Ämter bekleiden. Unter anderem wurde er 1934 zum ordentlichen Professor für Zeichnen und Malen in München berufen. Ab dem 1. Dezember 1936 stand er der Reichskammer der bildenden Künste als Präsident vor, für die er zuvor bereits als Vizepräsident tätig gewesen war.

Die Reichskammer der bildenden Künste war bereits im November 1933 gegründet worden. Sie entwickelte sich zu einer zentralen Institution im NS-Staat, um den Kunstbetrieb reichsweit zu kontrollieren und nach weltanschaulichen Kriterien auszurichten. Als Teil der Reichskulturkammer unterstand sie in letzter Instanz Propagandaminister Joseph Goebbels.

Seit ihrer Gründung verfolgte die Kunstkammer das Ziel, „nichtarische“ und systemkritische Künstler und Händler aus dem Kunstbetrieb auszuschließen. Kunstausstellungen und Kunstmessen mussten ab 1935 vorab von ihr genehmigt werden. 1937/38 beschlagnahmte das NS-Regime in über 100 Museen mehr als 21.000 Werke der Moderne, die ihnen als „Verfallskunst“, „kulturbolschewistisch“ und „entartet“ galten. Im Auftrag von Joseph Goebbels und bevollmächtigt von Adolf Hitler war Ziegler dafür verantwortlich, die Beschlagnahmeaktion reichsweit zu organisieren. Im Anschluss wurden diese Kunstgegenstände in der Femeausstellung „Entartete Kunst“ in diffamierender Absicht ausgestellt, verkauft oder zerstört.

In den Großen Deutschen Kunstausstellungen im Haus der Deutschen Kunst in München präsentierten die Nationalsozialisten ab 1937 hingegen zeitgenössische Kunstwerke, die ihrem Geschmack und ihrer Kunstauffassung entsprachen. Ziegler war daran beteiligt, die Exponate für diese Ausstellungen auszuwählen. Über die Jahre waren dort auch elf seiner eigenen Werke, darunter die Vier Elemente, zu sehen. Adolf Hitler und andere hochrangige NS-Funktionäre förderten die Künstler, indem sie dort in großem Umfang Ankäufe tätigten. Insgesamt konnten diese Ausstellungen bis 1944 über 2.800 unterschiedliche Privatkäufer verzeichnen, welche die NS-konforme Kunst entsprechend verbreiteten.

Die vier Elemente

Adolf Ziegler (1892–1959), Die Vier Elemente, vor 1937
Adolf Ziegler (1892–1959), Die Vier Elemente, vor 1937, Öl auf Leinwand, Mittelbild 171 x 190,8 cm, Seitenbilder je 170,3 x 85,2 cm, Sammlung Moderne Kunst in der Pinakothek der Moderne (© Sibylle Forster, Bayerische Staatsgemäldesammlungen)

Bei dem im sakralen Bildtypus des Triptychons - eine breite mittlere und zwei flankierende schmalere Leinwände - gemalten Bild Vier Elemente zog Adolf Ziegler alle Register, um ein Muster für „völkische“ Malerei zu schaffen. Dazu gehört ein Stil, der sein Motiv detailverliebt und fotografisch genau, „klar“ im Jargon der Zeit darstellt. Nicht mit einem individuellen oder gar ausdrucksstarken, expressiven Pinselstrich, sondern scheinbar „altmeisterlich“ sind die vier nackten Frauenkörper gemalt. Zwei sind auf der Mitteltafel platziert, je eine auf den Seiten. Der Raum, in dem sie sich befinden, wirkt zeitlos, der Boden ist gefliest. Wo sind wir hier? Wer genauer schaut, erkennt ein ganz wichtiges Detail: Die Figuren sitzen mit ihren abgelegten Gewändern auf einem durchlaufenden, wohl steinernen Sockel, der vier Platten trägt, wie man sie als Fußplatten bei Skulpturen kennt. Damit können die vier als lebendig gewordene Skulpturen verstanden werden. Für die „gebildete Schicht“ verbindet sich die (gemalte) Verlebendigung von Skulptur gleich mit einer ganzen Reihe klassischer Stoffe. Und das ist kein Zufall. Es passt zum Konzept einer neuen Klassik, einer „ewigen“ Kunst, so wie sich der Architekt des Hauses der Deutschen Kunst, wo das Gemälde 1937 einem ganz großen Publikum auffallen musste, Paul Ludwig Troost, auf Schinkel bezog. Den „klassischen“ Anspruch markierte Adolf Hitler immer wieder in seinen „Kulturreden“, beispielsweise im Rahmen der Reichsparteitage. Zur Eröffnung des Hauses der Deutschen Kunst sprach er beispielsweise von der Moderne, die als „entartet“ gebrandmarkt wurde, im Sinne vergänglicher, „konjunktureller“ Mode, während die wahre Kunst einem („rassisch“ definierten) Volk immer und unveränderlich eingeschrieben sei. Über einem der Seitenportale des Hauses der Deutschen Kunst stand in Bronze gegossen ein Zitat Hitlers: „Kein Volk lebt länger als die Dokumente seiner Kultur“.

DAS „WEIB“ ALS „HÜTERIN DER RASSE“

Adolf Ziegler, Liegender weiblicher Akt
Auch dieser liegende weibliche Akt von Adolf Ziegler gehört zum Bestand der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Seine detailverliebte Aktmalerei brachte Ziegler den spöttischen Beinamen „Reichsschamhaarmaler“ ein (Liegender weiblicher Akt, Adolf Ziegler © Bayerische Staatsgemäldesammlungen).

Das Thema der Vier Elemente nimmt ebenfalls Bezug auf etwas, das nicht der (geschichtlichen) Zeit unterworfen ist. Feuer (symbolisiert durch die Fackel), Wasser, Erde (symbolisiert durch die Getreidegarbe) und Luft sind zugleich die Basis für Leben. „Kein Volk lebt länger als die Dokumente seiner Kultur“ – zu den Elementen tritt also: das Volk. In der NS-Anschauung verbindet sich die „Volksgesundheit“ mit der Bestimmung des „Weibes“ als „Hüterin der Rasse“. Die dargestellten unterschiedlich blonden Frauen mit den sogenannten „Langschädeln“ könnten einschlägigen Publikationen zur „deutschen Rasse“ entstammen, auch wenn Ziegler nach realen Modellen arbeitete. Was sich jedoch besonders perfide auswirkt(e), war die Einbettung eines solchen „positiven“ Bildes im Kontrast zur antisemitischen (und auch antimodernen) Bildsprache, mit der schon vor 1933 intensiv gearbeitet wurde, also den „krummnasigen“, männlichen Klischeefiguren insbesondere von Juden. Die gar nicht so versteckte Botschaft, die brutal mit den Nürnberger Gesetzen 1935 in den Alltag eingriff, dürfte auch als Appell an die Reinerhaltung der „Rasse“ verstanden werden. Dies war der Auftrag an „die deutsche Frau“, die vor dem Gemälde stand.

Eine Notiz am Rande: Als das Werk erstmals in der Pinakothek der Moderne im Rahmen der Ausstellung GegenKunst gezeigt wurde, diskutierten wir regelmäßig mit dem Publikum. Tatsächlich fand sich eine Zeitzeugin, die berichtete, wie enttäuscht sie und ihre Klassenkameradinnen bei einem Schulausflug vor dem Bild gestanden hätten. Der Grund: In ihrem Dorf bei Rosenheim hätten alle dunkle Haare und runde Gesichter gehabt.

Die vier Elemente nach dem Krieg

Die Sonderausstellung „GegenKunst" in der Pinakothek der Moderne 2015
Die Sonderausstellung „GegenKunst" in der Pinakothek der Moderne 2015 (© Bayerische Staatsgemäldesammlungen)

Nach dem Zweiten Weltkrieg war die deutsche Kunstgeschichte darum bemüht, wieder an die künstlerische Avantgarde vor 1933 anzuschließen. Schon die Erste Allgemeine Deutsche Kunstausstellung 1946 in Dresden rehabilitierte die Künstler und ihre Werke, die im Nationalsozialismus als „entartet“ verfemt worden waren. Auch die erste documenta in Kassel wies 1955 in internationaler Ausrichtung diesen Weg. Viele Museumsdirektoren waren nun zügig darum bemüht, die Lücken moderner Kunst in ihren Sammlungen wieder zu schließen oder sich erst jetzt auf diese Künstler auszurichten.

In diesem Zusammenhang wurde die Kunst des Nationalsozialismus zunehmend tabuisiert. Sie spielte in der Kunstwissenschaft keine Rolle mehr. Als der Sammler Peter Ludwig zum 50. Jahrestag der Aktion „Entartete Kunst“ 1987 anregte, NS-konforme Kunstgegenstände wieder in den Museen zu zeigen, konnte dies für einen Skandal sorgen. In der folgenden Debatte warnte die eine Seite vor einer Manipulation der Massen und der musealen Weihung nationalsozialistischer Künstler. Die andere Seite befürchtete eine Mystifizierung der NS-Kunst und hielt die Zensur dieser Werke für eine schwer erträgliche Bevormundung.

Als eines der bekanntesten Werke nationalsozialistischer Kunstproduktion waren Zieglers Vier Elemente seit den 1970er-Jahren dennoch in verschiedenen Sonderausstellungen zu sehen, die sich kritisch mit der NS-Kulturpolitik auseinandersetzten. Seit 2011 sind die Kunstgegenstände, die in den Großen Deutschen Kunstausstellungen zwischen 1937 und 1944 gezeigt worden sind, in der DATENBANK GDK RESEARCH zugänglich.

DIE VIER ELEMENTE IN DER PINAKOTHEK DER MODERNE

Erst seit 2015 sind die Vier Elemente wieder in der Pinakothek der Moderne ausgestellt, die damit als eines der ersten Kunstmuseen einschlägige NS-Kunst im Kontext der Kunst der Moderne präsentiert. In der von Oliver Kase kuratierten Sonderausstellung GegenKunst konfrontierten die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Zieglers Triptychon 2015 mit Triptychen und Monumentalskulpturen der Moderne. Seit 2016 sind die Vier Elemente kontinuierlich in der Dauerausstellung der Pinakothek der Moderne zu sehen. Wechselnde Sammlungspräsentationen rücken die Vier Elemente mit Skulpturen und Gemälden der Sammlung, die ebenfalls 1933 bis 1945 entstanden sind, in unterschiedliche Kontexte. Weitere Informationen finden Sie unter www.pinakothek.de/gegenkunst


Beitrag von

Johannes Gramlich und Jochen Meister Johannes Gramlich war wissenschaftlicher Mitarbeiter der Provenienzforschung und Jochen meister ist in der Bildung und Vermittlung tätig.