Provenienzforschung
Die Provenienzforschung der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen erstreckt sich auf Kunstwerke, die ab 1933 erworben bzw. inventarisiert wurden und deren Provenienzen unklar sind. Gemäß der Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden (Washington Principles von 1998) prüfen die Staatsgemäldesammlungen ihre Bestände in den Pinakotheken und Zweiggalerien, um festzustellen, ob sich darunter während des Nationalsozialismus unrechtmäßig enteignete Kunstwerke aus ehemals jüdischem Besitz befinden, die restituiert werden können. Zielsetzung ist eine möglichst lückenlose Dokumentation der Provenienzen, die die Aufklärung von Eigentumsverhältnissen erleichtert.
Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen betreiben systematische Provenienzforschung seit 1999
Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen haben 1999 bis 2002 eine erste, auf drei Jahre befristete Stelle für Provenienzforschung eingerichtet. Ilse von zur Mühlen hat in diesem Zeitraum die Bestände überprüft und für die 125 Werke aus der ehemaligen Sammlung Göring einen Katalog erstellt, der 2004 erschienen ist. 2006 wurden die darin untersuchten Werke wegen Raubkunstverdacht auf www.lostart.de gemeldet. Seit 2008 gibt es ein eigenes Referat für Provenienzforschung, für das eine Konservatorenstelle eingesetzt ist, d.h. die Stelle ist unbefristet. Dr. Andrea Bambi untersucht seitdem die Provenienzen der Werke, die seit 1933 erworben wurden und die vor 1945 entstanden sind.
Die Staatsgemäldesammlungen untersuchen proaktiv 6000 Werke
Das Referat bearbeitet zusätzlich zur systematischen Bestandsrecherche für 6000 Werke (Gemälde und Skulpturen) sowohl eingehende Restitutionsforderungen als auch proaktiv aufgefundene Fälle. Es meldet diese wegen Verdacht auf verfolgungsbedingten Entzug der Internet-Datenbank www.lostart.de (aktuell 517 Meldungen) und tritt – sofern möglich – an die Anspruchsberechtigten heran. Zudem werden provenienzrelevante Vorgänge wie Neuankäufe von vor 1945 entstandenen Kunstwerken, Ausleihen, Datenbankeinträge und Katalogeinträge be- und erarbeitet.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Referats nehmen laufend an Fortbildungen, Workshops und Tagungen zur Provenienz- und Kunstmarktforschung teil. Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen sind Mitglied im Forschungsverbund Provenienzforschung Bayern und die Forscherinnen und Forscher beteiligen sich aktiv am Arbeitskreis Provenienzforschung e. V..
Die Provenienzrecherche der BSTGS umfasst die Bestände aller drei Pinakotheken und der Zweiggalerien
Rechercheschwerpunkte sind:
›Kunstwerke aus ehemaligem NS-Besitz‹: Diese Kunst- und Kulturgegenstände, die früher auch als „Überweisungen aus Staatsbesitz“ bezeichnet wurden, stammen aus den Sammlungen ehemaliger Funktionäre und Organisationen der NSDAP, die vor allem in den 1950er- und 1960er-Jahren auf Basis alliierter Kontrollratsdirektiven an den Freistaat Bayern übereignet wurden. Rund 900 dieser Kunstwerke gelangten daraufhin in den Bestand der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, in dem sie aufgrund ihrer Herkunft eines der problematischsten forschungsrelevanten Konvolute bilden. Bearbeitet wurde dieser Bestand von Dr. Florian Wimmer † (von November 2013 bis November 2015), von Dr. Johannes Gramlich (seit 1. Juli 2016) und Anja Zechel M.A. (von November 2012 bis Mai 2017) und Sophie Kriegenhofer (August 2018 bis Dezember 2020).
›Klassische Moderne‹: Von März 2015 bis März 2018 wurden 238 ausgewählte Werke der Klassischen Moderne von Johanna Poltermann untersucht. Die Forschungslage zu diesen Werken ist komplex, da sie nicht von den Pinakotheken direkt erworben wurden, sondern zu großen Teilen über Schenkungen in der Nachkriegszeit in die Sammlung kamen. Wichtige Konvolute sind beispielsweise die ehemaligen Privatsammlungen von Woty und Theodor Werner, von Martha und Markus Kruss, von Günther Franke oder auch von Sofie und Emanuel Fohn. Die genannten Sammlungen entstanden teilweise in der Weimarer Republik, in der Zeit des Nationalsozialismus oder auch in der Nachkriegszeit, weswegen die eigentlichen historischen Ankaufsverhältnisse einer kritischen Prüfung unterzogen werden müssen.
›Erwerbungen 1933-1945‹: Die zwischen 1933 und 1945 erworbenen Werke wurden in der unmittelbaren Nachkriegszeit im Münchner Collecting Point auf Raubkunst untersucht, eine zweite grundlegende Überprüfung erfolgte 1999 bis 2002. Seit Sommer 2017 wird dieser 1000 Werke umfassende Bestand von Anja Zechel und Melida Steinke (August 2018 bis Dezember 2020) auf Basis neu zugänglicher Quellen erneut auf Raubkunst überprüft und im Hinblick auf die Provenienzangaben aktualisiert.
›Erwerbungen nach 1945 bis heute‹: Projektziel war es, im Zuge einer Erstsichtung auf der Grundlage der schriftlichen Überlieferung von Inventaren, Bildakten und unter Berücksichtigung des heute gegenüber den Jahren um 1998/2000 deutlich weiterentwickelten Wissensstandes all jene Werke, die eine klare und in jeder Hinsicht unverdächtige Provenienz aufweisen, von der weiteren Recherche ausschließen zu können. Der hier in Rede stehende Gesamtumfang des Erstchecks betrug über 4000 Werke. Projektbearbeiterin war bis Dezember 2020 Dr. Ilse von zur Mühlen.
Aktuelles
Provenienz online | Veröffentlichung von Provenienzketten in der Online-Sammlung
Die Angaben zur Provenienz (Herkunft) der Objekte, die die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in der NS-Zeit erworben und nach 1945 aus dem enteigneten Vermögen von Funktionären und Organisationen der NSDAP übernommen haben, sind seit dem 05.09.2022 online. Mit der Onlinestellung der sogenannten Provenienzketten (Abfolge der Eigentümer:innen) kommen die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen der Forderung nach Transparenz in der Provenienzforschung gemäß den „Washingtoner Prinzipien“ von 1998 sowie der daran anschließenden „Gemeinsamen Erklärung“ von 1999 nach.
Die Provenienzangaben basieren auf systematischen Erstchecks, die – je nach Bestand – Quellen wie Literatur, Ankaufsakten, Bildakten, Datenbanken, Dokumente aus dem amerikanischen Central Collecting Point und – sofern verfügbar – Bildrückseiten berücksichtigen. Sie orientieren sich am Leitfaden zur Standardisierung von Provenienz-Angaben des Arbeitskreis Provenienzforschung e.V.
Hier können Sie die Provenienzketten von Werken in der Online-Sammlung der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen einsehen.
Multimediales Archiv zur Erinnerung an NS-Verfolgte geplant
Lebensgeschichten hinter Restitutionsfällen – BKM fördert mit 690.000 Euro
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit ihren Staatlichen Museen zu Berlin und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen bauen in einem dreijährigen Projekt eine Mediathek zu Kunstsammlerinnen und -sammlern, Mäzenen und sammelnden Bürgerinnen und Bürgern jüdischer Herkunft auf. Dieses Archiv der vergessenen Schicksale basiert auf den Provenienzforschungen beider Einrichtungen. Neben der Mediathek werden spezifische digitale Vermittlungsformate für Jugendliche und junge Erwachsene entwickelt. Ziel ist es, die Geschichte ausgewählter Restitutionsfälle in ihrer menschlichen Dimension zu erzählen und die emotionale Tragweite aufzuzeigen. Seit dem 15. Oktober 2022 bzw. seit Januar 2023 betreuen die Historikerin Dr. Julia Devlin und die Zeithistorikerin Anna Valeska Strugalla dieses Projekt.
Medienpartner des Projektes, das von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert wird, sind der Rundfunk Berlin-Brandenburg und der Bayerische Rundfunk.
Entscheidung der Beratenden Kommission zu Hans von Marées „Ulanen auf dem Marsch“
Gemeinsam mit dem Holocaust Claims Processing Office (HCPO) stellvertretend für den Max Stern Estate wurde der Fall der Beratenden Kommission vorgelegt. Im August 2019 hat sich die Beratende Kommission mehrheitlich für die Restitution des Werkes ausgesprochen. Die Empfehlung ist auf der Webseite der Beratenden Kommission abrufbar.
Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen haben die Empfehlung vollumfänglich angenommen und das Werk am 09.05.2022 unter den von der Kommission aufgestellten Bedingungen an den Max Stern Estate restituiert.
Entscheidung der beratenden Kommission zu Jacob Ochtervelt „Das Zitronenscheibchen“
Im April 2012 hatten die Erbenvertreter des jüdischen Bankhauses Hagen in Berlin einen Antrag auf Restitution des Gemäldes von Jacob Ochtervelt „Das Zitronenscheibchen“ eingereicht, das sich als Sicherheitsübereignung eines nicht jüdischen Schuldners namens Thürling im Tresor der Berliner Bank befand und 1938 durch diese verkauft wurde. Auf Wunsch der heutigen Erbengemeinschaft und im Einvernehmen mit dem vorgesetzten Ministerium für Wissenschaft und Kunst hatten sich die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und die Rechtsvertreter der Erben 2018 an die Beratende Kommission unter dem Vorsitz von Prof. Hans-Jürgen Papier gewandt, um hinsichtlich des Gemäldes eine Einigung zu erzielen, und im Januar 2019 einen entsprechenden Antrag eingereicht. Am 9. März 2020 fand die Anhörung in Berlin statt.
Die Beratende Kommission hat am 1. Juli 2020 eine Rückgabe des Werkes an die Erben nach Carl Hagen empfohlen.
Die Empfehlung ist auf der Webseite der Beratenden Kommission abrufbar.
Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen stehen mit der Familie in Kontakt und bereiten die Restitution vor.
Klageabweisung im Fall Flechtheim
Mit Entscheid vom 28. September 2018 hat das von den Erben nach Alfred Flechtheim angerufene US-Bundesbezirksgericht in New York einen vom Freistaat Bayern im eigenen Namen sowie namens der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen zuvor eingereichten Antrag auf Klageabweisung gutgeheißen (Vgl. JAHRESBERICHT 2017). Mit dem vorliegenden Entscheid ist das Gerichtsverfahren in New York nunmehr abgeschlossen. Die Klageabweisung erfolgte wegen fehlender Zuständigkeit des US-Gerichts aufgrund der Immunität des Freistaats Bayern gemäß dem US-Gesetz über die Immunität ausländischer Staaten (Foreign Sovereign Immunities Act). Das Gericht hat dabei keine Tatsachenfeststellungen vorgenommen, sondern hat die Klage deshalb abgewiesen, weil die Zuständigkeit des Gerichts selbst dann nicht gegeben gewesen wäre, wenn die Kläger die in ihrer Klageschrift behaupteten Tatsachen hätten nachweisen können.
Klageabweisung im Fall Mendelssohn-Bartholdy
Die Erben nach Paul von Mendelssohn-Bartholdy haben wegen des Gemäldes von Picasso mit dem Titel "Madame Soler" im Jahr 2013 in den USA Klage gegen den Freistaat Bayern eingereicht. Die Klage wurde aufgrund der Staatenimmunität des Freistaats Bayern mangels Zuständigkeit amerikanischer Gerichte in zwei Instanzen zurückgewiesen. Zuletzt hat auch der US-Supreme Court in Washington D.C., das oberste Verfassungsgericht der USA, im Januar 2016 die Klage abgelehnt.
Das erstmals im Jahr 2009 an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen herangetragene Restitutionsersuchen zum Gemälde „Madame Soler“ wurde sorgfältig geprüft. Die Recherche der Provenienzforschung kam abschließend zu dem Ergebnis, dass der dokumentierte Verkauf des Gemäldes aus der Sammlung von Paul von Mendelssohn-Bartholdy an den Kunsthändler Justin Thannhauser, von dem wiederum der Freistaat Bayern das Bild im Jahr 1964 angekauft hat, nicht in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Verfolgung der Familie Mendelssohn-Bartholdy steht. 2010 lehnten die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und der Freistaat Bayern daher den vorgetragenen Restitutions-Anspruch ab. In die nachfolgende Darstellung sind alle der Provenienzforschung an den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen bekannten Fakten und Erkenntnisse einbezogen.
Grundlegende Informationen zur Provenienz des Gemäldes „Madame Soler“ von Pablo Picasso
Tätigkeitsbericht 2021
Der Forschungsverbund Provenienzforschung Bayern (FPB) legt jedes Jahr einen aktuellen Tätigkeitsbericht über seine umfangreichen Aktivitäten vor. Dem Forschungsverbund gehören 22 Museen, Bibliotheken, Archive und Forschungsinstitute an, die in der Provenienzforschung aktiv sind und im Berichtsjahr 26 Objekte wie Gemälde, Graphiken, Judaica, Urkunden, Bücher und Tapisserien restituieren konnten.
Der vollständige Tätigkeitsbericht ist auf der Website des Forschungsverbunds Provenienzforschung Bayern zum Download verfügbar oder kann direkt über diesen Link abgerufen werden.
Restitutionen
Seit 1998 haben die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen 22 Werke aus 14 Sammlungen restituiert.
Hier erhalten Sie weitere Informationen zu den bisherigen Restitutionen.
Weitere 2 Werke stehen seit 2019/20 zur Restitution an:
1) Restitutionsantrag der Erben nach Carl Hagen
Jacob Ochtervelt, Das Zitronenscheibchen (Inv.-Nr. 16217)
Die Beratende Kommission hat am 1. Juli 2020 eine Rückgabe des Werkes Das Zitronenscheibchen von Jacob von Ochtervelt an die Erben nach Carl Hagen empfohlen. Die Herausgabe des Bildes solle einen Beitrag dazu zu leisten, ein Stück historischen Unrechts anzuerkennen und wiedergutzumachen. Die Empfehlung ist auf der Webseite der Beratenden Kommission abrufbar. Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen stehen mit der Familie in Kontakt und bereiten die Restitution vor.
2) Restitutionsantrag der Erben nach Curt Goldschmidt
Lesser Ury, Kinderszene (Inv.-Nr. 14275)
Auf Basis des wissenschaftlichen Dossiers des Referats Provenienzforschung hat das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst in Einklang mit den Staatsgemäldesammlungen im Berichtsjahr die Restitution des Gemäldes an die Erben nach Curt Goldschmidt entschieden, sobald alle Erben vollständig ermittelt werden können.
Fundmeldungen
Die Staatsgemäldesammlungen listen Fundmeldungen auf www.lostart.de.
Wenn sich Raub oder verfolgungsbedingter Verlust nicht gänzlich ausschließen lassen, erfolgt bereits eine Meldung bei der Internetplattform Lost Art (www.lostart.de). Dort ist der momentane Informationsstand zu den Gemälden öffentlich einsehbar, so dass mögliche Eigentümer ihre Ansprüche geltend machen können. Diese Zahl erhöht sich ständig und veranschaulicht die ernst gemeinte Bereitschaft der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, ihren Bestand zu überprüfen und Raubkunst zu melden. Aktuell haben die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen dort 306 Fundmeldungen gelistet. Dies sind allerdings auf den ersten Blick weniger als im vergangenen Jahr, da inzwischen nur noch Informationen zu solchen Objekten eingestellt werden dürfen, die sich noch im Bestand des Meldenden befinden. Damit sind aber rund 150 Datensätze der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen an dieser Stelle nicht mehr sichtbar, da die entsprechenden Werke bereits abgegeben worden sind, und zwar überwiegend in den 1960er Jahren. Eine Veröffentlichung auch dieser Daten ist seitens des Betreibers der Plattform (DZK) in Vorbereitung.
Die Recherchen zu den gemeldeten Werken gehen indes weiter. Mit zusätzlichen Quellen versuchen die Provenienzforscher:innen bisherige Lücken zu schließen und die Herkunft des Gemälde und Skulpturen vollständig zu klären.
Mitarbeiter:innen
Dr. Andrea Bambi, Anja Zechel M.A. (v.l.n.r.)
Das Referat Provenienzforschung bei den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen hat drei Mitarbeiter:innen
Leitung: Dr. Andrea Bambi, Kunsthistorikerin, 1 Stelle Vollzeit (Oberkonservatorenstelle)
Stellvertretende Leitung: Dr. Theresa Sepp, Kunsthistorikerin, 1 Stelle Vollzeit (unbefristet)
Mitarbeiterin: Anja Zechel M.A., Historikerin, 1 Stelle Teilzeit (unbefristet)
Foto: Haydar Koyupinar
INTERNATIONALER TAG DER PROVENIENZFORSCHUNG
Herkunft erforschen in Museen, Bibliotheken und Archiven
12. April 2023
Zum Internationalen Tag der Provenienzforschung bieten die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen einen Einblick in das neue Kooperationsprojekt „Kunst, Raub und Rückgabe“ sowie einen Überblick über vergangene Projekte. Hier die Veranstaltungen von und mit unserem Haus:
12.04. | 10.15 - 11.15 | Kunst, Raub und Rückgabe – Vergessene Lebensgeschichten | Kurzfilme und Diskussion
Mit "Kunst, Raub und Rückgabe" startet in diesem Frühjahr ein einzigartiges Erinnerungsprojekt. Auf einer digitalen Mediathek werden die vergessenen Lebensgeschichten jüdischer Menschen anhand von Restitutionsfällen mit Bildern, Hörstücken und Kurzfilmen dokumentiert. Zum Tag der Provenienzforschung laden wir zu einer Projektvorstellung inklusive Filmscreening und anschließender Diskussion. Wir freuen uns auf Ihr Kommen!
"Kunst, Raub und Rückgabe" entsteht in Kooperation mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, dem Rundfunk Berlin Brandenburg und dem Bayerischen Rundfunk.
Alte Pinakothek | Eintritt und Teilnahme kostenfrei
Begrenzte Anzahl an Teilnahmeplätzen | Anmeldung ab 30 Minuten vor Beginn
Treffpunkt: Foyer der Alten Pinakothek
12.04. | 11.30 - 12.45 | Gemälde, Kunsthandel und Provenienzforschung – Spurensuche im Kunstareal, Stadtrundgang
Die Projekte „MunichArtToGo“ und „Kunst, Raub und Rückgabe“ laden ein, das Kunstareal unter einem besonderen Blickwinkel zu erkunden. Welche Geschichte verbirgt sich hinter einem ausgestellten Gemälde? Welche Rolle spielten Kunsthandlungen in der „Kunststadt“, wo waren sie angesiedelt und wie sahen die prächtigen Gebäude einst aus? Diesen und vielen weiteren Fragen wird hier anlässlich des „Tags der Provenienzforschung“ nachgegangen.
Treffpunkt: Foyer Alte Pinakothek, Begrenzte Anzahl an Teilnahmeplätzen
12.04. | 13.00 - 15.00 | Livestream | Vielfalt im Überblick – der Forschungsverbund Provenienzforschung Bayern stellt sich vor
Welche Institutionen betreiben wie Provenienzforschung in Bayern? Wie muss man sich das vorstellen? Worum geht es dabei?
Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen stellen mit über 25 weiteren Museen, Bibliotheken und Forschungseinrichtungen ihre Aktivitäten im Bereich der Provenienzforschung kompakt online vor. Kein Beitrag wird länger als drei Minuten dauern. Nach knapp 90 Minuten wird die Diskussion eröffnet. Fragen können im Chat auch während der Präsentationen gestellt werden.
12.04. | 17.00 - 18.30 | Livestream | Forschen und erinnern: Jüdische Sammler:innen im Fokus
Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste rückt am Tag der Provenienzforschung drei Projekte in den Fokus, die sich mit jüdischen Sammler:innen beschäftigen, die nach 1933 gezielt Opfer nationalsozialistischer Verfolgung und Enteignung geworden sind. Eine Diskussion soll der Frage nachgehen, wie Forschungsergebnisse für Vermittlungs- und Erinnerungsprojekte nutzbar gemacht werden können, um den einstigen kulturellen Reichtum und seinen Verlust durch den nationalsozialistischen Raub sichtbar zu machen.
Eine Übersicht der am Tag der Provenienzforschung teilnehmenden Kulturinstitutionen findet sich auf der Website des Arbeitskreis Provenienzforschung e. V.
EINBLICKE IN UNSERE ARBEIT
Es ist uns ein wichtiges Anliegen über die Arbeit der Provenienzforschung an den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen zu informieren. Hier gaben wir zuletzt Einblicke in unsere Arbeit:
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Aufzeichnung des Livestreams vom 11. März 2021 zu der Buchvorstellung von Johannes Gramlich Publikation: „Begehrt, beschwiegen, belastend. Die Kunst der NS-Elite, die Alliierten und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen“:
- Im Februar 2021 war Anja Zechel zu Gast im Jüdischen Museum Augsburg Schwaben, um dort zu dem restituierten Bild „Bauernstube“ aus der Sammlung Friedmann zu sprechen: Aufzeichnung des Livestreams
- Aufzeichnung des Livestreams zum 2. Internationalen Tag der Provenienzforschung 2020 mit Andrea Bambi
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Am 4. Internationalen Tag der Provenienzforschung (13. April 2022) stellten die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in einem Blog Ergebnisse ihrer Recherchen zu den Erwerbungen 1933-1945 vor. Der Beitrag "Die „Erwerbungen 1933-1945“ der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen: Projektergebnisse und Impulse" ist bei RETOUR. FREIER BLOG FÜR PROVENIENZFORSCHENDE veröffentlicht.
Auf dieser Seite finden Sie des Weiteren Texte zu vergangenen Restitutionen.
Zahlreiche Einblicke in das Referat Provenienzforschung bietet auch der eigene Blog der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Zum Blog
FACE TO FACE | Marc Chagall ein “entarteter Künstler“
Anlässlich der Ausstellung „Marc Chagall“ sprachen Andrea Bambi, Leiterin der Provenienzforschung an den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und Tessa Rosebrock, Leiterin der Provenienzforschung am Kunstmuseum Basel mit Mario Andreas von Lüttichau, dem Kenner und Autor zahlreicher Publikationen zum Thema „Entartete Kunst“. Das Gespräch wurde moderiert von Michael Beck, dem Vorstandsvorsitzenden der Olaf Gulbransson Gesellschaft. Der Dialog war im Jahr 2021 Teil der Gesprächsreihe FACE TO FACE anlässlich der Ausstellung Marc Chagall.
Gespräch vom 11. November 2021 im Olaf Gulbransson Museum in Tegernsee, eine Zweiggalerie der Bayerischen Staatgemäldesammlungen
Hier können Sie sich das Video zum Gespräch auf Youtube ansehen
Publikationen
Publikationen von Dr. Andrea Christine Bambi
- Kunstraub, Restitutionsfragen und Provenienzforschung. Historische Perspektiven einer verzögerten Aufarbeitung. In: Magnus Brechtken (Hg.) Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Ein Kompendium, Göttingen 2021. S. 614-646.
- Alfred Flechtheim. Wegbereiter der Avantgarde. In: Provenire. Schriftenreihe des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste, Magdeburg Provenienzforschung in deutschen Sammlungen. Einblicke in zehn Jahre Projektförderung. Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, Magdeburg (Hrsg.), Berlin 2019, S. 225-232.
- über die Aufgaben der Provenienzforschung, Livestream via Youtube (https://youtu.be/gqGBNAnZvwM)
- Restitution des Gemäldes Auferweckung des Lazarus (https://www.pinakothek.de/blog/2020-03/27-03-2020-restitution-des-gemaeldes-auferweckung-des-lazarus)
- Provenceforschung (https://retour.hypotheses.org/1013)
Publikationen von Dr. Johannes Gramlich
- Raubkunst und Restitution. In: Magnus Brechtken (Hg.) Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Ein Kompendium, Göttingen 2021. S. 586-613.
- Begehrt, beschwiegen, belastend. Die Kunst der NS-Elite, die Alliierten und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen (Schriften der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen 4), Wien u. a. 2021.
- zusammen mit Stephan Kellner (Hrsg.): Tätigkeitsbericht des Forschungsverbundes Provenienzforschung Bayern 2019, Passau 2020.
- „Die Zeit drängt & überall sind Schattenseiten“. Die Sammlung Abraham Adelsberger und das Gemälde Fischerboote bei Frauenchiemsee von Josef Wopfner. Erläuterung der Forschungsergebnisse und Restitutionsgrundlagen, in: Bernhard Maaz (Hrsg.), Jahresbericht der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen 2019, München 2020, S. 100–111.
- Hildebrand Gurlitt auf dem französischen Kunstmarkt. Handel und Bürokratie, in: Andrea Baresel-Brand u. a. (Hrsg.), Kunstfund Gurlitt. Wege der Forschung (Provenire 2), Berlin, Boston 2020, S.48–62.
- zusammen mit Carola Thielecke: Provenance Research as a Voluntary Obligation, in: Deutsches Zentrum Kulturgutverluste (Hrsg.), Provenance Research Manual to Identify Cultural Property Seized Due to Persecution During the National Socialist Era, 2020, verfügbar unter: https://www.kulturgutverluste.de/Webs/EN/Research/Manual/Index.html (02.02.2021).
- mit Jochen Meister, Blogbeitrag: Die vier Elemente von Adolf Ziegler (https://www.pinakothek.de/blog/2020-03/31-03-2020-die-vier-elemente-von-adolf-ziegler)
Publikationen von Anja Zechel, M.A.
- Blogbeitrag: Provenienzforschung im Homeoffice (https://retour.hypotheses.org/928)
Die Lücke war der Beleg, „Ein Restitutionsbericht zum Fall Friedmann“, Jahresbericht der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen 2018, München 2019, S. 176-183.
Online-Buchvorstellung „Begehrt, beschwiegen, belastend“
Johannes Gramlich: Begehrt, beschwiegen, belastend. Die Kunst der NS-Elite, die Alliierten und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen
11.03.2020 | 18-20 Uhr | Online-Buchvorstellung
Aufzeichnung des Livestreams hier abrufbar
Die Publikation „Begehrt, beschwiegen, belastend“ ist im Böhlau-Verlag erschienen: Publikation auf der Website des Verlages
Funktionäre und Organisationen der NSDAP erwarben und raubten in der NS-Zeit Kunstgegenstände, denen als Symbol für Macht und Größe immense Bedeutung im Nationalsozialismus zukam. Die Methoden und Motive, mit denen sie ihre Sammlungen aufbauten, sind in den vergangenen Jahren vermehrt untersucht worden. Wenig ist hingegen darüber bekannt, was mit diesen Kunstwerken nach 1945 geschehen ist.
Johannes Gramlich, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Referat für Provenienzforschung an den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, widmet sich dieser Forschungslücke und geht dieser Frage in seiner soeben erschienenen Publikation mit Blick auf den Freistaat Bayern nach, wo die Alliierten 1945 den umfassenden Kunstbesitz von Adolf Hitler, Hermann Göring, Heinrich Hoffmann und anderen Parteifunktionären sicherstellten. Rund 900 Kunstgegenstände aus diesen Kollektionen sind vor allen in den 1950er- und 1960er-Jahren über staatliche Stellen in den Bestand der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen eingegangen. Doch auf welcher Grundlage wurden diese Kunstwerke aus NS-Besitz an den Freistaat Bayern übereignet? Wie gingen die Verantwortlichen der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und der bayerischen Behörden mit diesem Erbe um? Warum und durch wen wurden einige dieser Objekte seit den 1950er-Jahren an die Familien der NS-Funktionäre zurückgegeben oder an Dritte verkauft? Wie genau hatten zuvor die alliierten Bestimmungen und Praktiken zur Restitution von NS-Raubkunst ausgesehen? Anhand historischer Quellen erforscht die Studie die lange Nachgeschichte des nationalsozialistischen Sammelwahns, die auch eine Geschichte von großer Profitgier, taktischem Schweigen und einem nur verzögert und sehr langsam wachsenden Verantwortungsgefühl ist.Erste Forschungsergebnisse wurden bereits in einem Tagungsband, der auf eine Konferenz der Universität Wien vom Mai 2017 zurückgeht, vorgestellt.
Publikation „Raub von Kulturgut“
Jan Schleusener: „Raub von Kulturgut. Der Zugriff des NS-Staats auf jüdischen Kunstbesitz in München und seine Nachgeschichte“
Im Januar 2015 haben die Landeshauptstadt München, die Städtische Galerie im Lenbachhaus, das Jüdische Museum und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen ein Kooperationsprojekt mit dem Lehrstuhl für Zeitgeschichte an der Universität Erfurt, Prof. Dr. Christiane Kuller, vereinbart. Im Rahmen des Projektes hat der Zeithistoriker Dr. Jan Schleusener die Mitte November 1938 in Gang gesetzte Beschlagnahmung von Kunstgegenständen bei jüdischen oder als jüdisch im Sinne der NS-Rassenterminologie angesehenen Kunsthändlern und anderen Eigentümern von Kunst in München und Umgebung untersucht.
Alfred Flechtheim
15 Museen zeigen bis März 2014 in Ausstellungen und auf der Website www.alfredflechtheim.com Kunstwerke, die durch ihre Provenienz (= Herkunft) in Verbindung mit den Galerien von Alfred Flechtheim stehen. Die gezeigten Werke sind über verschiedene Wege in die jeweiligen Sammlungen gelangt: einen Teil erwarben die Museen direkt bei Alfred Flechtheim, sei es als Ankauf, Geschenk oder durch seine Vermittlung. Weitere Werke wurden von ihm an Dritte verkauft und gelangten über mehrere Zwischenstationen – meist nach 1945 – in die Museen.
Der Galerist Alfred Flechtheim (1878–1937) gehört zu den bedeutenden Protagonisten der Kunstszene im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Sein Einsatz für den rheinischen Expressionismus, die französische Avantgarde und die deutsche Moderne, die Förderung von Künstlerpersönlichkeiten wie Max Beckmann, George Grosz und Paul Klee haben ihn bereits zu Lebzeiten international bekannt gemacht. Doch die Herrschaft des Nationalsozialismus verändert sein und das Leben seiner Familie drastisch: Im Oktober 1933 muss Flechtheim Deutschland verlassen, als Kunsthändler jüdischer Herkunft wird er öffentlich diffamiert, seine Galerien in Düsseldorf und Berlin werden bis 1935 liquidiert oder von früheren Partnern fortgeführt, noch vorhandenen Kunstbesitz transferiert er ins Ausland, vor allem nach London. Dort stirbt er 1937 im Alter von nur 59 Jahren an den Folgen eines Unfalls. Seine Ehefrau Betty nimmt sich 1941 angesichts ihrer bevorstehenden Deportation das Leben. Die in ihrer Berliner Wohnung verbliebenen Kunstwerke werden beschlagnahmt und gelten als verschollen.
Seit 2009 vermuten die Erben nach Alfred Flechtheim bei zahlreichen Werken mit der Provenienz Flechtheim in Sammlungen von Museen im In- und Ausland einen verfolgungsbedingten Verlust. 2012 und 2013 kam es zu ersten Entschädigungen bzw. Restitutionen an die Erben nach Alfred Flechtheim (Bonn, Köln). Die ProvenienzforscherInnen der Museen versuchen seitdem gemeinsam und auf Grundlage der sogenannten Handreichung zur Umsetzung der 1999 unterzeichneten „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“, vorliegende Erkenntnisse zu vertiefen und offene Fragen zu beantworten. Diese Recherchen waren der Ausgangspunkt für das Projekt, das Alfred Flechtheims außergewöhnliches Wirken als Händler der vom Nationalsozialismus diffamierten Künstler, den abrupten Bruch in der Biografie, seine damit verbundenen Verlusterfahrungen und das tragische Schicksal seiner Familie würdigt.
Nicht immer lassen sich Provenienzen von Kunstwerken vollständig dokumentieren, weil durch Verfolgung, Krieg, Flucht und Emigration wichtige Unterlagen verloren gingen oder zum Schutz der Privatsphäre nicht zugänglich sind. Flechtheims Geschäftsunterlagen in der Mayor Gallery vernichtete der von der Deutschen Luftwaffe geflogene „London Blitz“ im September 1940, Bomben der Royal Air Force zerstörten die Düsseldorfer Galerie 1943 und von der Berliner Galerie sind keine Geschäftsunterlagen überliefert. So sind 76 Jahre nach Alfred Flechtheims Tod und trotz mehrjähriger Forschung im internationalen Verbund nicht alle Wege seiner Kunstwerke restlos geklärt.