François Boucher (1703-1770)
Ruhendes Mädchen, 1752 (Zustand nach Restaurierung)
© Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek München
François Boucher (1703-1770)
Ruhendes Mädchen, 1752 (Zustand nach Restaurierung)
© Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek München

All Eyes On

François Bouchers „Ruhendes Mädchen”

Alte Pinakothek
18.02.2025 — 06.07.2025
Saal XII

ALL EYES ON setzt inmitten der Galerie ein Werk oder eine Werkgruppe, eine bedeutende Künstlerpersönlichkeit oder künstlerische Position, Gastauftritte einzelner Leihgaben, wichtige Restaurierungen oder Neuerwerbungen in Szene. Die künstlerischen wie technischen Qualitäten der Gemälde, Inhalt und Bedeutung, ihre Entstehungs- und Wirkungsgeschichte sowie ihre Schöpfer werden im Kontext der Sammlung beleuchtet. Auf diese Weise eröffnen sich neue, aktuelle Perspektiven und vielfältige Einblicke in die Forschungsarbeit an den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen.

François Bouchers sinnliche Darstellung eines Mädchens, das unbekleidet auf einem Sofa liegt, bleibt ganz in der Gegenwart des Rokoko. Der Maler verzichtet auf den bei der Wiedergabe erotischer Nacktheit üblichen mythologisch-historischen Rahmen – auch noch im Zeitalter der Aufklärung war dies ein Wagnis. Für wen aber war das Bild bestimmt? Wieso ist seine Malschicht besonders fragil? Und wissen wir etwas über die Dargestellte? Viele Fragen stellen sich bei der Wiederbegegnung mit dem Gemälde, das im Doerner Institut kunsttechnologisch untersucht, konserviert und restauriert wurde und im Februar in die Säle der Alten Pinakothek zurückkehrt.

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François Boucher (1703-1770)
Ruhendes Mädchen, 1752 (Zustand nach Restaurierung)
© Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek München
François Boucher (1703-1770), Ruhendes Mädchen, 1752 (Zustand nach Restaurierung) © Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek München

Begleitprogramm

Begleitend zur ALL EYES ON Sammlungspräsentation lädt die Alte Pinakothek zu einem vielseitigen Bildungs- und Vermittlungsangebot ein: 

Zurück in der Galerie

François Boucher, einer der bedeutendsten Künstler des französischen Rokoko, malte das „Ruhende Mädchen“ im Jahr 1752. Seit 1909/10 gehört dieses Gemälde zu den dauerhaft in der Alten Pinakothek ausgestellten Werken. Zuvor wurde es in der Hofgartengalerie und der Schleißheimer Galerie präsentiert, nachdem es 1799 mit der Zweibrücker Sammlung nach München gelangt war. Eine frühere, 1751 datierte Version ist im Wallraf-Richartz-Museum in Köln zu sehen (Abb. 1); möglicherweise gab es weitere, inzwischen verlorene Fassungen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts zur französischen Malerei wurde das Gemälde zunächst kunsttechnologisch untersucht, schließlich konserviert und restauriert. Seine Rückkehr in die Galerie ist Anlass für diese Präsentation.

Kabinettstück des Rokoko

Das Gemälde zeigt eine unbekleidete junge Frau auf einem Ruhebett. Anders als bei Darstellungen nackter Körper lange üblich, verzichtete Boucher darauf, ihr eine mythologische Rolle zuzuschreiben. Das war auch noch im Zeitalter der Aufklärung gewagt, für Boucher selbst aber kein Novum: Schon in den 1740er Jahren schuf er verwandte Darstellungen eines dunkelhaarigen Modells (Abb. 2). Derartige Gemälde erotischer Thematik waren für private Bilderkabinette bestimmt. Ein solches richtete etwa Abel François Poisson de Vandières, der Bruder der Madame de Pompadour und Generaldirektor der königlichen Bauten, um 1752 ein; von Boucher erwarb er hierfür das Bild einer „jungen auf dem Bauch ruhende Frau“ – ziemlich sicher eine der Versionen des „Ruhenden Mädchens“. Die anderen drei in diesem Kabinett vertretenen Künstler wählten für ihre Darstellungen nackter Figuren in bewährter Weise mythologische Sujets. „Libertin“ (freigeistig) gesonnene und kulturell gebildete Mitglieder der höfischen Kreise wie Vandières konnten Bouchers besonderen Ansatz erkennen, gerade weil ihnen die Tradition der historisch-mythologisch verkleideten Nacktheit vertraut war. So dürfte es bei den Gesprächen in den intimen Bilderkabinetten nicht allein um die frivolen Inhalte der Bilder, sondern auch um deren künstlerische Qualitäten gegangen sein.

Wer ist das „Ruhende Mädchen“?

Nachdem ältere Inventare und Kataloge immer von einer anonymen Dargestellten ausgegangen waren, stellte der Katalog der Alten Pinakothek von 1911 erstmals den Bezug zu Marie-Louise O’Murphy (1737–1814) her, die König Ludwig XV. 1753 zu seiner Geliebten machte. Diese Identifizierung ist zwar populär, bleibt aber eine Hypothese. Letztlich geht sie auf ein in verschiedenen Quellen tradiertes Gerücht aus dem Jahr 1753 zurück. Besonders prägnant referiert eine Notiz der Pariser Sittenpolizei aus dem Mai jenes Jahres, es werde behauptet, dass O’Murphy, die jüngste einer Reihe von Schwestern aus einfachen Verhältnissen, zur Mätresse Ludwigs XV. geworden sei, nachdem Vandières ihr von Boucher gemaltes nacktes Abbild dem König gezeigt habe. Dieser habe daraufhin das dargestellte Mädchen selbst sehen wollen. Ganz offensichtlich zielte die Erzählung auf die Version des „Ruhenden Mädchens“ in Vandières’ Besitz. Das endgültige Polizeidossier stellt den Gehalt der Anekdote jedoch in Frage. Auch wegen diverser Ungereimtheiten in weiteren Quellen erscheint es angebracht, im Hinblick auf die Identifizierung des Modells Vorsicht walten zu lassen.

Sozialgeschichtliche Schatten

Auch wenn wir es somit nicht sicher kennen, darf man vermuten, dass sich das reale Vorbild des „Ruhenden Mädchens“ in einer gesellschaftlich-moralischen Grauzone bewegte. Wenn Maler weibliche Aktstudien anfertigen wollten, mussten sie dies privat organisieren: An der Pariser königlichen Kunstakademie war lediglich das Studium nach männlichen Aktmodellen und nach älteren Kunstwerken möglich. Hinter dem sinnlich-eleganten Kabinettbild werden somit komplexere sozialgeschichtliche Realitäten erahnbar. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass das jugendliche Alter der Dargestellten zur Entstehungszeit des Bildes offenbar keinen Tabubruch darstellte, durften doch nach damals geltendem Recht bereits zwölfjährige Mädchen und vierzehnjährige Jungen verheiratet werden. Heute betrachtet man das Bild freilich anders als im 18. Jahrhundert. Gerade deshalb kann es ein Anlass sein, über aktuelle Fragen der Wahrnehmung und Darstellung weiblicher Körper oder über Verantwortung, Macht und Abhängigkeiten nachzudenken. Das ausliegende Buch nimmt gerne die ganze Vielfalt Ihrer Gedanken und Meinungen dazu auf.

Die Entstehung der Malerei

Das Gemälde ist aber auch ein materielles Objekt. Aus seiner genauen Betrachtung lässt sich vieles über Kunstfertigkeit und Maltechnik des 18. Jahrhunderts ableiten. Die in herkömmlicher Weise auf einem Spannrahmen fixierte Leinwand wurde mit zwei farbigen Grundierungsschichten vorbereitet, woraufhin zunächst die Kompositionsanlage, dann die Malerei mit Pinsel und Farben folgten. Die variationsreichen Farbtöne hat Boucher mit teilweise vielfarbigen Pigmentausmischungen erzielt (Abb. 3).

Bouchers Umgang mit dem Pinsel ist bis heute eindrucksvoll: Je nach Bildpartie wurden die Farben entweder sanft ineinander vertrieben oder mit kräftigen, sichtbaren Pinselstrichen modelliert. Die unterschiedlichen Pinselgrößen, die Boucher verwendete, lassen sich durch den charakteristischen Pinselduktus gut nachvollziehen (Abb. 4). Ein abschließender, transparenter Firnisauftrag diente als Glanz- und als Schutzschicht.

Die Erhaltung der Malerei

Die Erkenntnisse aus der kunsttechnologischen Untersuchung tragen nicht nur zum besseren Verständnis von Bouchers Arbeitsweise bei, sie dienten auch dazu, geeignete Maßnahmen für die Bewahrung des Gemäldes zu entwickeln. Als besondere Herausforderung erwies sich eine ungewöhnliche zusätzliche Schicht, die zwischen Grundierung und Malschicht liegt. Diese Schicht, bestehend aus Stärke und Protein, reagiert mit Volumenveränderung auf Feuchtigkeitsschwankungen, was zu Hebungen oder Ablösungen der Malschicht führen kann.

Im Rahmen der konservierenden Maßnahmen wurde zunächst die stark vergilbte Firnisschicht entfernt, um freien Zugang zu den gelockerten Farbschollen zu schaffen. Mithilfe eines Klebstoffs, der in winzigen Tropfen präzise mit einem feinen Pinsel aufgetragen wurde, ließen sich diese gelockerten Stellen stabilisieren (Abb. 5). Auf die Festigung der Malschicht folgte die kleinteilige Retusche der Fehlstellen mit einem Pinsel (Abb. 6). Abschließend wurde ein neuer Firnis aufgetragen, der der Malerei ihren ursprünglichen Glanz und die Tiefe des Lichts zurückgab.

Was meinen Sie?

Wir haben uns im Vorfeld der Präsentation mit vielen Menschen über François Bouchers Gemälde „Ruhendes Mädchen“ unterhalten. Uns ist aufgefallen, dass es ganz unterschiedlich wahrgenommen wird: Manche amüsiert es, andere fühlen sich provoziert, manche macht es neugierig auf das 18. Jahrhundert, andere wiederum denken an gesellschaftliche Machtverhältnisse und die #MeToo-Debatte.

Wie sehen Sie Bouchers „Ruhendes Mädchen“? 
Was denkt das Mädchen im Bild wohl gerade, und wie könnte es sich fühlen?
Was denken Sie, wenn Sie dieses Bild anschauen, und wie geht es Ihnen damit?
Wie fern oder wie nah sind uns die Lebenswelten des 18. Jahrhunderts heute?
Wie würde ein vergleichbares Bild heute aussehen? Was wäre anders?
Was halten Sie davon, wie diese Art von erotischer Kunst im Museum bislang gezeigt wird?

Teilen Sie Ihre Gedanken zum Gemälde mit uns und anderen Besucher:innen, indem Sie sie in dem Buch vor Ort oder hier digital festhalten!