Hans Baldung, genannt Grien, zählt zu den außergewöhnlichsten Künstlerpersönlichkeiten der Renaissance nördlich der Alpen. Er lebte mit seiner Familie in Schwäbisch Gmünd, arbeitete mehrere Jahre in der Werkstatt Albrecht Dürers in Nürnberg und ließ sich 1509 in Straßburg nieder, wo er eine eigene Werkstatt gründete. Seine Werke – von Altarbildern über Porträts bis zu Historienbildern und mythologischen Szenen – zeugen von einer anspruchsvoller Bilderfindung. Vor allem lassen die große Kreativität und stilistische Eigenwilligkeit ihres Schöpfers erkennen, der fast immer zu unkonventionellen Lösungen gelangte.
So auch bei diesem Gemälde: Die Darstellung der Gottesmutter als Himmelskönigin wird ungewöhnlich kombiniert mit derjenigen einer „Maria lactans“, einer stillenden Muttergottes. Während Maria mit idealisierten Zügen und fein gelocktem Haar erscheint, greift der kleine Jesus in fast naturalistischem Realismus nach der Brust seiner Mutter. Dieser Kontrast zwischen überirdischer Anmut und irdischer Direktheit verleiht dem Bild eine große Besonderheit.
Ein transparenter Schleier, der sich von Mariens Krone herabsenkt und sich scheinbar mit dem Windeltuch des Kindes verbindet, schafft eine visuelle und inhaltliche Brücke – ein subtiler Hinweis auf die doppelte Natur Christi, göttlich und menschlich zugleich. Dazu gesellt sich eine fast karikaturhaft ausgeführte Engelsfigur in Grisaillemalerei, die wie geblendet zur Szene blickt – ein weiteres Spiel mit Mehrdeutigkeiten, das Baldungs Werk so faszinierend macht.